Ein Herz, eine Leber, eine Niere aus dem 3D-Drucker?
Organe aus dem 3D-Drucker stehen noch vor Herausforderungen, aber die Forschung rast voran – und das könnte bedeuten, dass sich schon bald unser Verständnis von Körper und Krankheit ändert.
Sie ärgern sich gerne mal über den Drucker in Ihrem Büro? In Zukunft sollten Sie das vielleicht hinter verschlossenen Türen tun, denn Ihr Drucker könnte Ihnen eines Tages das Leben retten.
Na gut, fairerweise muss man dazu sagen, dass der Drucker, mit dessen Papierzufuhr Sie sich tagein, tagaus streiten, vermutlich kein 3D-Drucker ist. Letztere sind es, die derzeit als Kandidaten für eine medizinische Revolution gehandelt werden.
Denn das 3D-Drucken von Organen – auch Bioprinting genannt – könnte Transplantationen verfügbarer, günstiger und sicherer machen. Die Technologie ist in den letzten Jahren weit gekommen – doch noch steht ein weiter Weg bevor.
Ein Wort zu den Worten: Bioprinting kann das Drucken künstlicher Organe bezeichnen, sich aber auch ganz allgemein auf das 3D-Drucken von organischem Gewebe beziehen. In diesem Text benutzen wir es synonym mit dem 3D-Druck von Organen!
Organe aus dem 3D-Drucker: Nicht jedes Organ ist gleich geschaffen
Der Anspruch beim Bioprinting ist es, voll funktionsfähige Ersatzorgane herzustellen, in der Regel aus den Zellen des Empfängers. Nicht jedes Organ lässt sich allerdings gleich gut drucken. Bei manchen ist die Marktreife bereits in Sicht, bei anderen noch sehr weit weg. Hier eine Übersicht:
Nieren
Die Nieren sind eines der schwierigsten Organe für den 3D-Druck, da ihre Struktur sehr komplex ist. Forscher der Harvard University sind auf diesem Feld die Vorreiter: Sie warteten 2016 mit einer speziellen Paste auf, durch die sie das Nephron – einen wichtigen Teil der Niere – drucken konnten.
Leber
Die Leber ist ebenso ziemlich komplex. Hier gibt es vor allem Teilerfolge: Die amerikanische Firma Organovo hat beispielsweise Leber-„Pflaster“ gedruckt, welche die Organfunktion verbessern und damit helfen sollen, die Zeit bis zu einer richtigen Transplantation zu überbrücken. In ersten Studien mit Mäusen zeigte sich das bereits als vielversprechend.
Die Leber erfüllt rund 500 unterschiedliche Funktionen und wird manchmal als das zweitkomplexeste Organ nach dem Gehirn bezeichnet.
Herz
Das Herz ist verhältnismäßig einfach zu drucken, da es nicht sonderlich komplex ist: Es wirkt im Grunde einfach wie eine Pumpe. Bereits 2017 bildeten Schweizer Forscher ein voll funktionsfähiges Herz im 3D-Drucker nach. Exotischer: Das Biotech-Startup Biolife4D arbeitet an Miniaturherzen, die bereits 2020 an kleinen Tieren erprobt werden sollen.
Lungen
Die Lungen sind von einem komplexen Netz aus Gefäßen geprägt. Im Mai 2019 gelang es amerikanischen Wissenschaftlern erstmals, eine künstliche Version davon herzustellen, die sogar öffentlichkeitswirksam “einatmen” konnte. Nun arbeiten die Forscher ihren Prototyp weiter aus, doch im Großen und Ganzen sind künstliche Lungen noch lange nicht in Reichweite.
Auge / Hornhaut
Ein Forscherteam aus Großbritannien hat bewiesen, innerhalb von zehn Minuten eine Hornhaut drucken zu können. Indem das Auge des Patienten gescannt wird, lässt sich die Hornhaut individuell anpassen. Noch gab es keine Transplantationsversuche, wie gut die Hornhaut also tatsächlich funktioniert, ist noch nicht abschließend klar.
Knochen
Wissenschaftler aus Glasgow haben 2017 mit einer Technologie namens „Nanokicking“ Knochen gedruckt. Dabei wurden menschliche Stammzellen in Knochentransplantate gewandelt.
Plazenta
Heimspiel: Die TU Wien hat eine künstliche Plazenta-Barriere gedruckt, mit der sie die Funktion der Plazenta erforschen möchte. Die Plazenta regelt den Austausch der Substanzen zwischen Mutter und Kind, ist sehr komplex und bislang verhältnismäßig wenig verstanden.
Das Material beim Bioprinting sind Sie
Doch was tun mit all den künstlichen Organen, sobald sie eines Tages fertig sind? Sie lassen sich zum Beispiel transplantieren. Großer Vorteil dabei: Da das künstliche Organ aus einer sogenannten Biotinte gedruckt wird, die oft aus Zellen des Empfängers besteht, ist die Abstoßungsreaktion des Immunsystems deutlich milder als bei konventionellen Organspenden.
Das allein bedeutet bereits enorm viel: Mehr verfügbare Organe sowie weniger Immunreaktionen retten Leben und erhöhen die Lebensqualität.
Doch darüber hinaus lässt sich an den künstlichen Organen auch erforschen, wie Krebs oder andere Krankheiten auf die einzelnen Organe wirken. Das hilft bei der Suche nach Medikamenten und vergrößert unser Verständnis von unserem Körper.
Die Europäische Weltraumagentur ESA forscht daran, künstliches Gewebe im Orbit zu drucken – denn dort fällt die lästige Schwerkraft weg.
Viele offene Fragen
Noch sind einige Fragen ungeklärt: Wer kontrolliert die neuen Organe? Wären es die privaten Firmen, die sie hergestellt haben? Bislang regelt die „Eurotransplant International Foundation“ (ET) die Vergabe von Spenderorganen. Sie stellt dafür Kriterien auf und beurteilt Erfolgsaussichten sowie Dringlichkeit.
Außerdem stellen sich für Kritiker ethische Fragen. Verlieren Menschen mit künstlichen Organen einen Teil ihrer „Menschlichkeit“? Nehmen verfügbare künstliche Organe Menschen den Anreiz, auf ihren Körper Acht zu geben?
- Wer ist verantwortlich, falls das Organ Komplikationen verursacht?
- Werden künstliche Organe aus Kostengründen nur bestimmten Menschen zur Verfügung stehen?
- Wird es, vor allem in Ländern ohne Widerspruchsregelung, weniger Organspenden geben, sobald der 3D-Druck anläuft?
So viele Fragen ungeklärt sind, so viele Argumente sprechen klar für Organe aus dem 3D-Drucker:
- Mehr Organe für Transplantationen: Rettet Leben und verkürzt Wartezeiten
- Mehr Organe, um die medizinische Forschung voranzutreiben
- Immunreaktionen weniger wahrscheinlich
- Weniger Labortests an Tieren erforderlich, da Organe für Tests verfügbar sind
- Könnte illegalen Organhandel weniger lukrativ machen
Der Markt mit künstlichen Organen
3D-gedruckte Organe haben gewaltiges Potenzial. Analysten von Grand View Research rechnen damit, dass der Markt für Bioprinting bis 2026 ganze 4,1 Milliarden Dollar (3,71 Milliarden Euro) wert sein wird – viermal so hoch wie die derzeitigen 965 Millionen Dollar (873 Millionen Euro).
Die dürften eine große Antriebsfeder hinter den bisherigen und bevorstehenden Innovationen sein, am wichtigsten aber: Organe aus dem 3D-Drucker könnten Leben retten. Und, selbstverständlich, könnten sie endlich für Frieden zwischen Drucker und Mensch in den Büros sorgen. Was ist schon ein Papierstau, wenn man im Gegenzug ein druckfrisches Herz bekommt?